Voraussetzungen

Bei der Umsetzung personalisierter, datengetriebener Diagnosen und Therapien sind sogenannte Omics-Technologien zentral. Der Begriff leitet sich von Disziplinen in der Biologie her, deren Namen auf „omics“ enden – wie Genomics, Proteomics, Metabolomics, Metagenomics und Transcriptomics.
Omics zielt auf die kollektive Charakterisierung und Quantifizierung von Pools biologischer Moleküle ab, die sich auf die Struktur, Funktion und Dynamik eines Organismus oder von Organismen auswirken.
Zukünftig ist mit weiteren neuen Datenebenen zu rechnen, für die Daten-integrierende Methoden und Algorithmen entwickelt werden müssen. Dabei müssen vorhandene Biodaten-Ebenen durch neuartige Datenintegrationsmethoden genutzt und datenschutzkonform verarbeitet werden. Patienten, Ärzte und die Wissenschaft erhalten somit innovative gleichwertige Datenauswertungen.

Prinzipielle Darstellung einer integrierten multi-omics Strategie (durch DaMeSA derzeit abgebildete Module sind dunkelblau).

Prinzipielle Darstellung einer integrierten multi-omics Strategie. (Durch DaMeSA derzeit abgebildete Module sind dunkelblau)

Die omics-Technologie spielt international eine exponentiell wachsende Rolle (1010 PubMed Einträge allein 2020),
ohne dass bisher eine Standardisierung der Datenebenen-Integration überhaupt erfolgt ist.

Beispielgebende Anwendungen von -omics Daten sind u.a. aus Israel und dem Vereinigten Königreich bekannt. Israels Premierminister Benjamin Netanjahu hat 2018 eine Investition von fast 287 Millionen Dollar für ein Big-Data-Projekt angekündigt, das die Gesundheitsinformationen der Bürger für Forscher und Datenschutzunternehmen verfügbar machen soll. Mit Hilfe dieser Infrastruktur konnte z.B. die weltweit erste Studie zur bevölkerungsweiten Auswirkung der COVID-19 Impfungen in kürzester Zeit realisiert werden6. Im Topol-Review7 des weltweit führenden Kardiologen und Genetikers E. Topol wird dargestellt, wie das britische staatliche Gesundheitswesen auf die digitale Zukunft vorbereitet werden kann. Einer der Kernaussagen lautet: “Die erfolgreiche Implementierung von technologiegestützter Versorgung erfordert, diejenigen Sektoren des Gesundheits- und Sozialwesens gezielt zu unterstützen und dort einzusetzen, wo sie von Patienten benötigt werden. Überwachung von Zugang, Nutzung und Ergebnissen sowie deren Zuordnung zu Schlüsselmerkmalen und Risikomarkern, sind unerlässlich.” Auch weitere Thematiken des Topol-Reviews wie Datenethik, Patienteneinbeziehung und multimodale Datenkommunikation sind Kernbestandteile unseres Projekts.

In Deutschland

In Deutschland zielt die vom BMBF geförderte Medizininformatikinitiative darauf ab, “die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Forschung und Versorgung näher zusammenrücken”. Universitätskliniken sind angehalten, mit Forschungseinrichtungen, Unternehmen, Krankenkassen und Patientenvertretern zusammenzuarbeiten. Anwendungsbeispiele in den Bereichen Onkologie, Intensivmedizin, Neurologie, Infektionskrankheiten und Wissensgenerierung stehen auf dem Boden mehrerer lokaler Konsortien. Im Gegensatz zu unserer Initiative wird in diesen Förderstrukturen kaum neue Infrastruktur geschaffen, sondern der Mehrwert soll aus einer langsamen evolutionären Kooperation entstehen. Unsere Initiative strebt über gemeinsame Mitglieder eine wissenschaftliche Zusammenarbeit in der Medizininformatikinitiative an.

In Sachsen gibt es einen wachsenden life-sciences Sektor, der sich mit Hilfe von Initiativen des Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen (StStG) zu einem der wichtigsten deutschen biomedizinischen Forschungsstandorte entwickeln soll. Darüber hinaus ist Sachsen ein Kernland ingenieurtechnischer Innovationen, die zunehmend mit dem entstehenden Medizin-Cluster interagieren. Um den nächsten Innovationssprung zu ermöglichen, ist die bisher noch nicht eingetretene Datenintegration ein essenzieller Punkt, um Konkurrenzfähigkeit im internationalen Wettbewerb zu etablieren.

Stand der Informationstechnologie

Gegenwärtig vollzieht sich in der IT eine zweite Revolution. Cloud-Computing verschiebt die digitalen Verarbeitungsprozesse weg von den lokalen Endgeräten in die Cloud. Treiber der Entwicklung sind die großen Tech-Unternehmen, Amazon, Google und Microsoft, die als große Cloud-Anbieter (Hyperscaler) zusammen ca. 75 Prozent der Public-Cloud Dienste abdecken. In Sachen Marktdurchdringung sind sie kaum mehr einzuholen.

Entscheidend für unser Vorhaben ist, dass die zugrundeliegenden Methoden der Datenverarbeitung keine Inseltechnologien der jeweiligen Firmen sind. Um freien Datenaustausch zu gewährleisten, setzen sie auf offene Standards. Nur so ist Big Data auswertbar. Die Folge der Durchsetzung von Cloud Computing wird die Harmonisierung der Datenformate sein, in Analogie zum grenzüberschreitende Bahnverkehr im 19. Jahrhundert, der eine Einigung auf eine gemeinsame Spurweite erzwang.

Entscheidende Cloud-Technologien stehen allen zur Verfügung. Google hat zum Beispiel mit der Cloud Native Foundation den Standard Kubernetes zur Container-Orchestrierung der IT-Community zur freien Verfügung gestellt. Damit lassen sich große Datenbestände anhand von Micro-Services auslesen und verarbeiten. Der Standard wird auch heute schon in Deutschland in der gesetzlichen Krankenversicherung eingesetzt. Die Rechenzentren der GKV vernetzen damit die Akteure im Gesundheitssystem. Zum Beispiel wird die Software-Lösung zur Einführung der elektronischen Patientenakte in den GKV Rechenzentren mit frei zugänglicher Cloud-Technologie mit Kubernetes betrieben. Die Kompetenzen sind also in deutschen Rechenzentren des GKV-Systems vorhanden.

Noch besser sieht es bei der infrastrukturellen Situation aus: Gesundheitsdaten sind in Deutschland nicht erst seit der DSGVO besonders geschützt. Die Digitalisierung im Gesundheitssystem hatte die Schaffung eines eigenen technisch abgetrennten Gesundheitsnetzes zur Folge. Die Telematik-Infrastruktur (TI) steht und wird von der gematik GmbH beaufsichtigt. Gesellschafter sind Bundesgesundheitsministerium, GKV-Spitzenverband und andere Verbände des Gesundheitssystems.

Gesundheitsdaten von Versicherten werden in Deutschland in speziellen Rechenzentren verarbeitet, die nur diesem Zweck dienen. Diese Rechenzentren dürfen keine anderen Daten halten und verarbeiten. Mit dieser institutionellen Aufstellung sind wir im internationalen Vergleich bestens organisiert.

Politisch-regulative Voraussetzungen

Die großen amerikanischen Cloud-Anbieter können aufgrund von EU-Gesetzen europäische Datenschutzstandards nur schwer einhalten. Dies haben Urteile des EUGH zu Transfers personenbezogener Daten in die USA exemplarisch aufgezeigt. Die Folge ist eine erhebliche Rechtsunsicherheit. Zum Beispiel sind Facebook-Auftritte europäischer Firmen faktisch momentan illegal (März 2021).

Trotzdem ist die Datenschutzgrundverordnung, die seit 2018 europaweit gilt, ein erheblicher Meilenstein zu Vereinheitlichung und Rechtssicherheit. Sie hat als entscheidendes Kriterium zur Erlaubnis der Verarbeitung personenbezogener Daten die Einwilligung des Betroffenen und die Zweckbestimmung durchgesetzt. Anders als oftmals geargwöhnt, ist die DSGVO kein Datensammel-Verhinderungsgesetz. Im Gegenteil: die ausdrückliche Absicht des Gesetzgebers war es, den Austausch personenbezogener Daten innerhalb des größten Wirtschaftsraums der Welt durch einheitliche Regulierung überhaupt erst zu ermöglichen bzw. zu legalisieren.

Sie ist zu einem Meilenstein staatlichen Handelns in der Datenrevolution geworden und wirkt weit über den eigentlichen Geltungsraum hinaus. Zum Beispiel hat der US-Bundesstaat Kalifornien Standards der DSGVO in innerkalifornisches Recht überführt. Darüber hinaus gelten in Deutschland schon länger die strengen Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes und der Sozialgesetzbücher.

Für unser Vorhaben bedeutet dies, dass wir den Vorteil eines etablierten Rechtssystems mit darauf abgestimmten staatlichen Aufsichtsbehörden haben. Wir kennen die regulativen Anforderungen, konzipieren die Datenverarbeitung von Anfang an unter Einbeziehung der geltenden Betroffenenrechte. und haben damit Planungssicherheit.

Andererseits bestehen in Deutschland strikte sektorale Abgrenzungen des Gesundheitswesens und starre Finanzierungsregeln entlang der Sektorengrenzen, die die Umsetzung von wissenschaftlichen Ergebnissen in die Routineversorgung erschweren. Hier kann der multi-omics Verbund beispielhaft auf das ganze deutsche Gesundheitssystem reformierend ausstrahlen.